Mit dem „New Work“-Trend ist ein Upgrade der Ausstattung im Office-Bereich zu beobachten. (Foto: Interface)

Eines ist sicher: Die Corona-Pandemie wird unser Leben grundlegend verändern. Prognosen dazu gibt es viele – negative und positive. In der Baubranche sind einige aufmunternde Vorzeichen erkennbar, von denen die Raumausstattung profitieren könnte. Führende Wissenschaftler sind sich einig, dass kein Bereich der Wirtschaft und des öffentlichen sowie gesellschaftlichen Lebens von den Folgen der Pandemie ausgenommen bleibt. Schon 2019 war die Weltwirtschaft am Beginn einer Zäsur: Themen wie Globalisierung, Klimawandel oder Digitalisierung zeichneten den Umbruch bereits vor, der nun durch die Corona-Krise deutlich an Dynamik gewonnen hat. Was das für einzelne Branchen bedeutet, welche Themen akzentuiert und wie diese das weitere Geschehen beeinflussen werden, bleibt abzuwarten. Aktuell ist die Lage vielerorts von der Sorge steigender Preise, anhaltender Materialengpässe und zunehmenden Lieferverzögerungen geprägt. Dementgegen stehen häufig (noch) volle Auftragsbücher, vor allem im Privatkundengeschäft, das sich 2020/2021 mit Objektaufträgen die Waage hält, wie unsere jüngste Branchenumfrage ergeben hat. Eine weitere Erkenntnis: Die Aufträge im Beherbergungs- und Gastronomiebereich haben im Vergleich zu Vor-Corona deutlich zugelegt, die der öffentlichen Hand waren leicht rückläufig und die Auftragslage im Einzelhandel sowie im Office-Segment liegen gleichauf mit 2019.

Work-Life-Balance beginnt am Arbeitsplatz

Eine Entwicklung, die nachhaltig den Objektbereich verändern wird, ist die gestiegene Akzeptanz des Homeoffice-Arbeitsplatzes: In den letzten 18 Monaten haben viele Arbeitgeber und Arbeitneh- mer festgestellt, dass auch ohne Anwesenheit im Büro Geld verdient werden kann. Eine Studie der Forschungsinstitute IGES und Forsa gibt an, dass sich 2020 der Anteil der im Homeoffice Arbeitenden verdreifacht hat und gleichzeitig die Auslastung der Büros von zuvor 65 auf 40 Prozent gesunken ist. Ob es durch diese Entwicklung tatsächlich zu weniger Büroflächen kommen wird, ist fraglich. Branchenkenner gehen davon aus, dass die be- stehenden Flächen anders genutzt werden. Neuen Office-Konzepten – weg vom Großraumbüro hin zu temporären Arbeitsplätzen, die sich Mitarbeiter teilen – gehört die Zukunft. Einhergehend mit dem „New Work“-Trend ist ein Upgrade der Ausstattung. Der rein funktionale Mix aus IT- und Office-Infrastruktur wird durch ein Wohlfühlambiente abgelöst, das die Wünsche nach Work-Life- Balance der Arbeitnehmer widerspiegelt.

Reiselust ist ungebrochen

Weniger eindeutig scheint die Entwicklung im Beherbergungs- und Gaststättengewerbe zu sein, das neben der Veranstaltungsbranche am härtesten von Corona-Einschränkungen betroffen war und ist. Wegfallende Messen, Kongresse, Seminare haben zu massiven Ausfällen geführt. Während überwiegend kleinere und vielleicht auch schon vor Corona nicht profitabel geführte Unter- nehmen in die Insolvenz getrieben wurden, haben größere Hotel- oder Restaurantketten die Zeit des Lockdowns genutzt, um lange aufgeschobene Renovierungen durchzuführen oder neue Einrichtungskonzepte umzusetzen. Die Trends: Geschäftsreisen werden vermutlich nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen, viele Termine lassen sich per Online-Meeting abarbeiten. Die Reisetätigkeit wird damit wieder stärker dem Business-Class- Klientel vorbehalten sein, die keine Budget-Herberge am Ortseingang buchen, sondern eine citynahe Lifestyle-Unterkunft mit Erlebnisgastronomie suchen. Ein entsprechendes Wohlfühlambiente ist für diese Entwicklung essentiell. Anders stellt sich die Situation bei privaten Reisen dar. In den letzten 18 Monaten konnten vor allem die deutschen Ferienregionen punkten, weil verunsicherte Touristen ihre Fernreisepläne überdachten. Urlaubsgebiete im Norden und Süden der Republik waren nahezu vollständig ausgebucht. Sich ihrer Stärken bewusst, nutzten viele Ferienwohnungs-Vermieter und Hoteliers ihrerseits die Chance der beherbergungsfreien Zeit, um zu modernisieren. Die anhaltend ungewisse Lage in fernen Ländern wird die heimische Tourismuswirtschaft auch 2022 beflügeln. Die höheren Margen durch bereits angezogene Mietpreise werden vielerorts direkt wie- der in Renovierungen investiert. In einigen Objekten wird es vor- erst darum gehen, einen zeitgemäßen Standard zu generieren. In anderen wird man den gestiegenen Ansprüchen neu gewonnener Gäste gerecht werden müssen, die zuvor Kreuzfahrten im Atlantik oder Cluburlaub in der Karibik gebucht haben. Zudem ist davon auszugehen, das vor allem in heute noch nicht extensiv genutzten Regionen der Tourismus weiter wachsen wird: Das Statistische Bundesamt gibt an, dass die Bettenzahl in Ferienwohnungen und -häusern 2020 mit 456 000 um 36 Prozent über der von 2010 lag – Tendenz steigend.

Kauferlebnis schlägt Schnäppchenpreis

Auch schon vor Corona stand der klassische Einzelhandel vor einschneidenden Veränderungen. Zum Teil unrealistisch hohe Mieten in Innenstadtlagen und gleichzeitig das Verlagern von Kaufkraft in dezentrale Einkaufszentren machten vielen das (Über)leben schwer. Mit der Schließung etlicher Warenhäuser des angeschlagenen Galeria Karstadt Kaufhof-Konzerns stellt man aktuell auch eine längst überfällige Marktbereinigung bei Modeketten-Filialen fest: Bis auf wenige Ausnahmen fehlt es bundesweit den Innenstädten an erfolgreichen Konzepten,Konsumenten zum Bummeln und Shoppen zu animieren. Dabei zeigt eine Studie der Offerista Group, dass 81 Prozent der deutschen Konsumenten es vermissen, im stationären Handel einzukaufen. Zwei Drittel geben an, dass ihnen das Anschauen und Anprobieren von Produkten fehlt. 60 Prozent möchten gern die lokalen Läden wieder unterstützen. Der Schlüssel zum Erfolg heißt Kauferlebnis. Verkaufsflächen müssen sich zur Bühne der perfekten Produktinszenierung wandeln, um langfristig gegen die starke Online-Konkurrenz zu bestehen. Kunden wünschen sich ein physisches und emotionales Erlebnis, das ihnen den Klick zum Schnäppchenpreis nicht ermöglicht. Ohne ein hochwertiges und sich regelmäßig veränderndes Ambiente wird man die Konsumenten nicht vom PC in die City locken.

Gesundheitssektor immer wichtiger

Jeder zweite Deutsche ist heute älter als 45 und jede fünfte Per- son älter als 66 Jahre. Der Bestand und Zustand unserer Arztpraxen, Krankenhäuser und Seniorenheime wird dieser demografischen Entwicklung derzeit jedoch nicht gerecht: Die medizinische Unterversorgung auf dem Land nimmt stetig zu, Kran- kenhäuser stecken im Modernisierungsstau, Seniorenheime können die Nachfrage bei der Betreuung Demenzkranker nicht befriedigen. Die Dauerbaustelle Gesundheitssektor wird in der nächsten Legislaturperiode vermutlich ganz oben auf der Agenda der dann amtierenden Regierung stehen. Neben Investitionen in das System, wird es dann darum gehen, substanzielle Veränderungen vorzunehmen und in die Gebäudeinfrastruktur zu investieren.

Bauen für die Klimaziele?

Was auf den ersten Blick widersinnig klingt, scheint ein Schlüssel zum Erfolg zu sein: Der Gebäudesektor ist von zentraler Bedeutung, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen! Allein in Deutschland entfallen auf diesen Bereich etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs, der zudem etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen verursacht. 35 Prozent der Gebäude in den EU-Mitgliedstaaten sind über 50 Jahre alt. Um das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 zu erreichen, ist es notwendig, die Sanierungsgeschwindigkeit und -tiefe deutlich zu erhöhen. Die Europäische Kommission hat dazu Ende 2020 den European Green Deal veröffentlicht, Deutschland hat 2019 mit dem Klimapaket und dem Klimaschutz-Programm einen wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht und zahlreiche Maßnahmen auch beschlossen. Teil des Green Deal ist die Renovierungsstrategie „Renovation Wave“. Diese „Renovierungswelle“ sieht unter anderem vor, die Renovierungsquote in den nächsten zehn Jahren mindestens zu verdoppeln und dadurch für mehr Energie- und Ressourceneffizienz zu sorgen. Dies soll dazu beitragen, die Lebensqualität der Menschen, die in diesen Gebäuden leben und sie nutzen, zu verbessern, die Treibhausgas-Emissionen in Europa zu verringern, die Digitalisierung zu fördern und mehr Werkstoffe wiederzuverwenden und zu recyceln. Bis 2030 könnten in Europa 35 Millionen Gebäude renoviert und bis zu 160 000 zusätzliche grüne Arbeitsplätze im Baugewerbe geschaffen werden – erwartet die Kommission. In diesem Fahrwasser werden auch Raumausstatter Aufträge generieren.

Neues europäisches Bauhaus

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass es nicht nur darum gehe, den vorhandenen Gebäudebestand energieeffizienter zu gestalten, sondern auch um eine umfassende Veränderung der Städte. Mit einem neuen europäischen Bauhaus will die Kommission eine Ästhetik fördern, die Funktion und Erfindergeist miteinander vereint. Dem interdisziplinären Projekt soll ein Beratungsgremium aus externen Sachverständigen aus Wissenschaft, Architektur, Design, Kunst, Planung und Zivilgesellschaft vorstehen. Noch in diesem Sommer will man einen „breit angelegten, partizipativen Prozess zur gemeinsamen Gestaltung“ einleiten, bevor 2022 ein Netz von fünf Gründungs-Bauhäusern in verschiedenen EU-Ländern errichtet werden soll. Das „Bauhaus“, das 1919 in Weimar unter Walter Gropius entstand, vereinte Kunst und Handwerk miteinander. Wenn in Brüssel mit gleichem Anspruch geplant wurde, könnte es ein großer Wurf für unsere Branche werden.

Text: Jens Lehmann